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Regenbogen für einen Freund

 

Erzählung

 

 

Illustriert und übersetzt aus dem Russischen von Hans Brunies

 

 

                                                                     Das Beste, was ein Mensch hat, ist sein Hund.

                                                                                                  Nicolas Toussaint Charlet

 

                                                                            

 

  ERSTER TEIL

 

DER WEG NACHHAUSE

 

         Erstes Kapitel

 

 

 Wie unbeschnittene Hunde … Sehr geistreich. Da kann man weder liegenbleiben noch davonlaufen. Oh, ihr Prachtkerle. Oh, ihr Menschen. Was würdet ihr wohl sagen, wenn wir in unsere Hundesprache ein ähnliches Idiom einführen würden, nur umgekehrt? Stellt euch mal folgende Situation vor: Ich komme von einer von einer Ausstellung nachhause  und der Nachbarhund fragt mich: „ Hast du Erfolg gehabt, mein Lieber? Haben sich viele Hunde beteiligt?“ Und ich antworte ihm: „Naja, soviel wie Menschen, die noch nichts abgekriegt haben…“ Wie ist dieser Satz? Ich glaube kaum, dass der jemanden gefällt. So geht es uns auch, meine lieben zweibeinigen Freunde.  Da kann man mal wieder sehen, dass der Hund ein gutes Beispiel für die menschliche Undankbarkeit ist.

 

Na schön, ich habe eigentlich was anderes im Sinn. Denkt mal daran, was so gang und gäbe ist: da wird man an den Ohren gepackt, am Hals gezerrt, es wird einem was ins Maul gesteckt… vielleicht sollte ich  stattdessen „Gesicht“ sagen? Also, da wird einem aller möglicher Dreck ins Gesicht gesteckt… Ich will nicht übertreiben. Kein Dreck, keineswegs irgendwelcher Dreck! Manchmal wird einem solch ein Leckerbissen zugesteckt, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Einmal wäre ich beinahe außer Rand und Band geraten.

 

Da stehen wir also mit meinem ersten Herrchen Ivan Savelevitsch (der Himmel sei ihm gnädig) an einer Straßenkreuzung und warten auf Grün. Meine Aufgabe besteht darin, darauf zu achten, dass alle Autos anhalten – und nicht nur, dass sie irgendwie anhalten, sondern auch gemäß der Verkehrsordnung. Bildet ihr euch etwa ein, Leute, dass man die Zebrastreifen bei der Verkehrsampel einfach nur so zum Spaß malt? Achtet auf sie, meine Herren Chauffeure, haltet nicht auf ihnen an. Für einen Sehenden ist das kein Beinbruch; er geht um den Kotflügel herum und spaziert weiter. Jedoch mein Betreuter versteht nicht gleich, was ich von ihm will – wir sind doch richtig auf dem Fußgängerübergang, und dennoch zieht der Blindenhund ihn zur Seite.

Wie soll er verstehen, was los ist? Ich kann es ihm doch nicht sagen, fange also stattdessen an zu jaulen, an der Leine zu ziehen, manchmal muss ich sogar bellen. Mein Betreuter weiß nicht, was los ist; er bleibt stehen, um zu überlegen was ich da bloß anstelle, klopft mit seinem Stock rum tuck-tuck-tuck.  Einige Fahrer springen fast aus ihrem Fenster und schreien: „Du zerkratzt das Auto, verfluchter alter Lümmel!“ Und er muss doch herausfinden, was er vor sich hat. Das einfach mit der Hand machen geht nicht – da könnte es passieren, dass er die los wird. 

 

Während man noch dabei ist sich zurechtzufinden, fängt die Ampel schon an zu blinken und die Motoren heulen auf, die Autos bereiten sich zum Losfahren vor. Wenn die Fahrer Gas geben, ist es nur halb so schlimm. Aber es gibt auch Idioten, die zu hupen anfangen, womit sie sagen wollen: Los, du blindes Huhn, mach, dass du weiterkommst. Oder sie pfeifen nach mir, diese Typen, schnalzen mit der Zunge, wollen mich antreiben. Wenn ihr nur wüsstet, Menschenkinder, wie ich euch in solchen Augenblicken hasse. Manchmal blickt man euch an und denkt: schämt ihr euch denn kein bisschen? Jeder kann doch mal solch ein Pech haben. Ist das wirklich so ein großer Genuss, wenn ihr ein paar Sekunden an dieser verfluchten Verkehrsampel gewinnt? Ich bitte euch inständig, ihr Menschen: wenn ihr einen Blinden mit einem Führer (naja, das bin ich) seht, seid möglichst ruhig und still, lenkt mich und den Mann nicht ab, verursacht keinen Unfall. Abgemacht?

 

Wir stehen also am Zebrastreifen, und da kommt mir ein ungeheuerlicher Duft ins rechte Nasenloch. Der Geruch ist mir so vertraut, dass sich mir der Magen zusammenzieht – ich hatte ihn schon gespürt, als wir an dem Kiosk mit der Inschrift „Gebratene Hähnchen. Schaurma*)“ vorbeigingen. Ich bemühe mich, mich nicht vom Weg ablenken zu lassen, schiele aber unwillkürlich nach rechts und sehe so ein saftiges Hühnerschenkel, gebraten, goldglänzend, aromatisch… Bis heute verstehe ich nicht, wie ich es fertig gebracht habe, mich zu beherrschen und die Delikatesse nicht zu schnappen. Aber man hat ja schließlich nicht umsonst die Hundeschule absolviert.

 

Besten Dank natürlich für den guten Willen, für die Freundlichkeit, für  den Wunsch einen zu bewirten, aber, Leute, ich befinde mich auf der Arbeit! Versteht ihr das nicht? Ich bin kein verwöhnter Schoßhund oder kleiner Pudel, der sorgenlos mit seinem Herrchen spazieren geht und aus Langeweile die Bäume anpinkelt. Ich arbeite. Ich meine das im Ernst: Ich gehe nicht bloß mit einem Blinden, ich arbeite. Und ihr könnt mir glauben, das ist für mich keine leichte Arbeit. Meine Aufgabe besteht darin, den Betreuten dahin zu führen, wohin er will – ohne dass er unterwegs sich den Kopf einschlägt, stolpert, hinfällt und schließlich auch, ohne dass er sich in einer Pfütze nasse Füße holt. Ich habe ihn auf Hindernisse hinzuweisen, muss stets rechtzeitig vor jedem beliebigem Hindernis anhalten und dem Mann erlauben, mit dem Stock zu überprüfen, was er vor sich hat. Wenn sich das Hindernis auf unserem Wege befindet, weiche ich nach rechts oder links aus und führe den Mündel herum, wobei ich auch noch darauf achte, dass er unter tief hängenden  Zweigen oder irgendwas anderem, was zu niedrig für ihn ist, hindurch passt. Ich muss auch darauf aufpassen, dass er nicht mit anderen Leuten zusammenstößt. Wenn wir den Bus oder die Straßenbahn benutzen, zeige ich ihm den Eingang, und später dann den Ausgang. So hat man natürlich vollauf zu tun.

 

*) Döner, ukrainische oder türkische Pizza

Könnt ihr euch nun vorstellen, was es heißt, als Blindenhund zu arbeiten? Wenn ihr das jetzt bejaht, seid mir nicht böse, wenn ich euch beiße.  Man darf nicht so anmaßend und voreilig sein.

Sagt nicht sofort „ja“. Um sich meine Arbeit vorstellen und sie verstehen zu können, muss man selber mit einem Gurtzeug auf dem Rücken ein paar Jahre mit so einem hilflosen „Herrchen“ gehen. Habt ihr bemerkt, dass ich das Wort„Herrchen“ in Anführungsstriche gesetzt habe?

 

Ja, einige halten sich für unsere Herrn, obwohl sie ohne uns keinen Schritt machen können. Ich würde mir vielleicht wünschen (ich bin übrigens ein reinrassiger Labrador, man munkelt sogar, dass ich der Verwandte des Hundes eines berühmten Politikers sei), dass mein sogenanntes Herrchen sich die Stirn an der Wand blutig stößt, oder gegen einen Laternenpfahl rennt; dann hätte ich während der kleinen Ablenkung wenigstens ein bisschen Zeit, am nächste S-s-s-strauch

das Bein zu heben. Aber ich bin ein Fachhund, ein Spezialist; ich habe an der Fachschule zwei Jahre studiert, und das wären bei euch ungefähr zehn. Ihr schafft es, in diesem Zeitabschnitt Akademiker zu werden. Selbstverständlich erlaube ich mir nicht solche Gemeinheit, meinen Schützling aufzuopfern ist für mich unmöglich. Meine Aufgabe besteht darin, ihn vor allen Missverständnissen zu behüte. Diejenigen, die ich begleite, betrachte ich nicht als meine Herren. Das sind meine Freunde. Und ihr könnt mir das glauben, sie können sogar unter euch Menschen niemals einen Freund haben, der treuer und aufopferungsbereiter ist als ich es bin. Ihr könnt das Gesicht verziehen, grinsen, die Augen verdrehen, mir sogar einen Fußtritt geben – aber das ändert nichts an der Tatsache. Ihr habt euch doch selber die Redensart „Es ist gut, wenn ein Hund der Freund des Menschen, aber schlecht, wenn der Freund ein Hund ist“ ausgedacht. Zwar habt ihr die ausgedacht, aber euch nichts dabei gedacht – obwohl der liebe Gott euch mit Verstand gesegnet und mit der Fähigkeit zu denken ausgestattet hat. Was ist denn schlecht daran, dass euer Freund ein Hund ist? Na schön…ich verstehe ja, woran ihr gedacht hattet. Daher nehme ich euch das nicht übel.

 

Falls euch diese Geschichte interessiert, kann ich ja fortfahren. Ich bin schon fünf Jahre alt. Nach menschlichen Maßstäben wäre ich doppelt so alt wie mein jetziger Betreuter (Sascha ist dreizehn Menschenjahre alt). Früher habe ich bei einem blinden Rentner gearbeitet. Ivan Savelevitsch war ein wunderbarer Mensch und mein Freund. Er hat mir sogar manchmal gestattet, mich in seinem Bett zu wälzen. Wenn wir zuhause angelangt sind, nimmt mir Ivan Savelevitsch alles dieses Gängelzeug ab, füttert und kämmt mich. Dann sagt er: „Na, Thrisong, jetzt kannst du dich ausruhen.“

 

Meint ihr etwa, mir fällt es leicht, mit diesem Gurtzeug zu gehen? Wenn ich mich abends davon befreie, dann möchte ich mich schon auf dem Rücken wälzen, die Pfoten gen Himmel strecken, mich lang ausstrecken und danach rumspringen, hinter einem Ball her rennen. Ivan Savelevitsch hat mich niemals angeschnauzt, nicht mal an jenem Unglücksabend, an dem ich die Vase zertrümmert hatte. Der Alte hat verstanden, dass ich das nicht absichtlich getan hatte. Ich habe mich geschämt. Habe mich an sein Bein geschmiegt und leise gewinselt. Ivan Savelevitsch streichelt mich und sagt: „Weine doch nicht, Thrisong, soll der Teufel dieses Gefäß holen. Scherben bringen Glück.“

 

Ich verstehe bis heute nicht, warum zerbrochenes Geschirr Glück bringen soll. Über einen Fernseher hat das bis jetzt noch niemand gesagt. Also Ivan Savelevitsch ist inzwischen gestorben. Er ist gestorben, und ich bin zur Schule zurückgebracht worden. Wie habe ich mich doch nach ihm gesehnt! Mir blieb das Essen im Halse stecken. Andauernd habe ich überlegt, wem ich nun übergeben werde…

 

Ich weiß nicht, auf welchen Umwegen und aufgrund welcher Schicksalsfügung das geschah – aber irgendwie kam Saschka zu unserer Schule, mein jetziges Herrch… mein jetziger zu Betreuender.

Wenn ihr nicht blind seid und euch die Probleme blinder Menschen fremd sind, dann erkläre ich es jetzt extra für euch. Bevor man uns Blindenhund einem neuen Her… (puh, zum Teufel nochmal, da sieht man mal wieder, wie die uns dressiert haben), also einem neuen Betreuten übergibt, müssen wir eine gewisse Zeit zusammen verbringen. Das heißt – uns aneinander gewöhnen, uns beschnüffeln, uns unter die Lupe nehmen. Jedoch wer wird mich denn schon unter die Lupe nehmen, wenn sie alle blind sind? Ich muss sie mir unter die Lupe nehmen. Und sie müssen nur nach mir horchen, beschnüffeln, naja, und auch noch befühlen. Auf alle Fälle, damit es keine Allergie gibt oder irgendeine andere Unannehmlichkeit. Die Menschen haben alle möglichen Verrücktheiten. Wir dagegen sind ziemlich anspruchslos.          

 

Es kommt allerdings auch mal vor, dass wir unsere Launen haben, ja-ja. Unserem Schäferhund Lada aus der siebenten Voliere war es nun mal unmögliche, mit seiner neuen Betreuten zu finden. Die Frau gab den Hund an die Schule zurück. Sie ist übrigens eine vorzügliche Schule für Blindenhunde. Wenn ihr also Bedarf habt, könnt ihr euch an sie wenden. Mich findet man da natürlich nichtmehr, aber meine Freunde und Freundinnen lassen euch nicht im Stich. Wisst ihr, wie man uns überprüft? Oha! Es gibt da alle möglichen Tests und Prüfungen.

 

Mit anderen Worten, jeder Beliebige wird da nicht aufgenommen. Wir, die Studenten dieser Universität, haben alle ein ausgeglichenes Gemüt, achten nicht auf Hintergrundgeräusche (jedenfalls bemühen wir uns, das nicht zu tun), bemerken überhaupt nicht alle diese widerlichen

Kater und Katzen. Nein, wir nehmen sie natürlich wahr (kann man das etwa nicht?), aber ich will damit sagen, dass wir sie nicht beachten. Wieder nicht ganz richtig. Wir richten auch auf sie unsere Aufmerksamkeit. Jedoch sind wir nicht befugt, auf sie zu reagieren - was diese grünäugigen Viecher oft ausnutzen. Ganz im Ernst.

 

Ich kann ja mal einen aktuellen Fall anführen. Ich betrete also mit meinem Saschka das Treppenhaus (da sind viele Stufen, und man muss schon äußerst vorsichtig sein) - und gerade in diesem Moment kommt aus der Tür eine Königin persischen Blutes (oder Felles, das kann man halten wie man will), äußerst pathetisch, mit einem idiotischen rotem Band am Hals, die kleinen Krallen beschnitten, der Schwanz parfümiert, die Öhrchen drehen sich wie Lokatoren in alle Richtungen. Ich schwöre bei meiner ganzen Hundeehre, dass ich nicht die geringste Absicht hatte zu knurren, geschweige denn zu bellen. Aber da faucht diese blonde Idiotin wie verrückt, hebt ihren Schwanz, macht einen krummen Buckel und krrr – haut mir mit der  Pfote in die Schnau… ins Gesicht. Ihr könnt euch vorstellen, wie mir das weh tat. Wenn nicht mein Sascha bei mir gewesen wäre und wenn es da nicht mein Professionalismus und mein Verantwortungsbewusstsein existierten, hätte ich dieser Verrückten mit einem Schnippchen den Schwanz abgebissen. Ich war so beleidigt, dass mir fast die Tränen gekommen wären – Ehrenwort. Es blieb mir nichts weiter übrig, als etwas die Zähne zu fletschen. Diese hausgebackene „Baronin“ hat es trotz ihrer beschnittenen Krallen fertiggebracht, mir die Nase zu zerkratzen. Ich habe einen salzigen Blutstropfen geschluckt und Saschka nachhause gebracht. Was blieb mir weiter übrig? Ich darf mich von diesen Dümmerleinchen nicht ablenken lassen…

 

Bis ich zu ihm kam, lebte Sascha allein mit seiner Mama und Oma. Der Papa war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. An diesem Unglückstag saß auch Saschka bei seinem Vater im Auto. Er war damals elf Jahr alt. Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass Iris und Linse unersetzbar zerstört sind. Ich verstehe herzlich wenig von diesen Feinheiten, jedoch nach dieser Tragödie konnte der Junge nicht mehr sehen. In der Familie wird davon geredet, dass es einen berühmten Arzt gibt, der Sascha das Augenlicht wieder herstellen kann; aber wann das sein wird, weiß niemand. Einstweilen bin ich sowohl sein Doktor als auch sein Auge und sein Freund.

 

 

 

         Zweites Kapitel

 

Mit Sascha haben wir uns sehr bald gut verstanden, obgleich ich anfangs beleidigt war - etwas, ein ganz kleines bisschen. Bildet auch selber ein Urteil. Ihr habt doch schon mitgekriegt, dass ich Trisson heiße. Als wir in der Schule zusammen geübt haben, hat er mich auch so genannt. Alles war normal. Sascha hat die Prüfung erfolgreich bestanden. Ist das etwa verwunderlich? Mit mir besteht ein beliebiger Anfänger die Prüfung. Ich höre nicht nur auf die Kommandos des Betreuten, sondern übernehme auch manchmal die Initiative – natürlich nur dann, wenn es angebracht und vernünftig ist.   

 

Es ist also alles glatt gegangen. Wir kommen also zuhause an (uns hatte noch Saschas Mama begleitet), da befindet sich die Großmutter Elisabeth Maximovna. Auch die hat uns freundlich  empfangen. Ihren Namen habe ich übrigens völlig zufällig erfahren – der Nachbar kam herein und redete sie so an, mit ihrem Namen. Mir ist eine Wunderlichkeit bei den Menschen aufgefallen. Sascha redet sie mit  „Oma“ an, das ist nachvollziehbar, aber das tut auch Swetlana Sergejevna. Und da überlege ich: warum Oma, wenn sie doch deine Mama ist? Ihr Menschen seid manchmal schwer zu verstehen. Na schön, das  ist ja kein Hals- und Beinbruch.

 

Ich bin also Thrisong. Wisst ihr wenigstens, was dieser Name  bedeutet? Oha! Das ist nicht irgendein gefleckter Tusik oder tollpatschiger Rex. Ivan Savelevitsch hat mir meinen Namen genau erklärt. Ich bin nicht nur ein reinrassiger Hund, zudem ist auch mein Name kein gewöhnlicher. So hieß irgendwann mal der König von Tibet. Thrisong Detsen, der vor vielen-vielen Jahren zu dem Schluss kam, dass die Erleuchtung nur unter der Leitung eines Meisters als Folge moralischer und geistiger Vervollkommnung erreicht werden kann. Ohne jegliche Prahlerei bezeuge ich, dass mein Meister in der Schule tadellos war. Habt ihr verstanden, worauf ich hinaus will? Ein aufgeklärter Labrador ist nichts Alltägliches!

 

Und da erlaubt sich Saschka plötzlich mir nicht dir nichts, mich Trischa zu nennen. Zuerst hatte ich nicht einmal verstanden, an wen er sich wendet. Er war frühmorgens aufgewacht und hatte mit den Händen die Umgebung des Bettes abgetastet, um mich zu suchen. Aber ich bin doch nicht so dumm, dass ich vor den Füßen liege. Ich hatte es mir am Fußende des Bettes bequem gemacht, damit Sascha nachts nicht zufällig über mich stolperte. Ich stand nun auf und bellte leise, um mich bemerkbar zu machen. Da hör ich, dass er sagt: „Tri… Trischa, bist du hier? Komm bitte zu mir.“

 

Ich sitze da und denke, dass er vielleicht irgendein Spielzeug sucht. Sehe mich um, sehe aber nichts, was nach Trischa aussieht. Ein ausgestopfter Plüschbär sitzt in der Ecke. Aber Sascha hatte mir erst gestern gesagt, dass er ihn Teddy nennt. Wo ist nur dieser verfluchte Trischa? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Sascha sitzt auf dem Bett und ruft nun. „Thrisong!“ Das bin ich. Ich laufe zu ihm hin und stoße meine Nase an sein Knie. Er streichelt mich und sagt wieder: „Trischenka, mein Lieber, na, wie hast du in deiner neuen Herberge geschlafen?“       

 

Ach so, dachte ich verblüfft, Sascha meint mit Trischa mich. Eine schöne Überraschung! Bin ich etwa irgendein Trischa? Was ist mit dir los, Jungchen? Das Schlimmste daran ist, dass es sich nicht ändern lässt. Nachdem er mich Trischa genannt hat, werde ich den Namen nicht mehr los. Nach Saschas schlechtem Beispiel rufen mich ab nun auch Swetlana Sergejevna und Elsbeth Maximovna nur noch Trischa. Anfangs  war mir das sehr unangenehm. Mir sträubte sich sogar das Fell, wenn ich nur „Trischa“ hörte. Was für einen Namen hatte ich verloren! Ich war ein König gewesen und hatte mich nun in irgendeinen Plüschhund verwandelt.

 

Ihr hättet mich sehen müssen. Mein Fell erinnert nicht an simplen Sand oder gedroschenes Stroh, ich bin nicht einfach ein gelber Hund, sondern - das kann man wohl sagen - ein goldener. Glaubt ihr das etwa nicht? Schaut auf mich an einem hellen sonnigen Tage, am besten dann, wenn ich vom Duschen komme. Einen schöneren Hund gibt es nicht auf der Welt. Ihr würdet vor Stolz zerplatzen, wenn ihr solch einen reinrassigen Hund wie mich hättet. Meine Vorfahren begleiteten die Wikingern und den Basken, welche auf der Neufundlandinsel lebten. Bis zum XVIII. Jahrhundert hatten die Europäer nie einen Labrador zu Gesicht bekommen. Übrigens betrachteten uns die Seefahrer als Unterpfand einer glücklichen Reise, und das tun sie auch heute noch. Wenn ihr meint, dass das bloßer Aberglaube ist, so irrt ihr euch gewaltig. Meine Ahnen halfen schon damals den Menschen. Bei einem Schiffbruch zogen die Labradore ein Tau zum Ufer, an dem sich die Leute hinüber hangeln konnten. Und zu schwache Leute trugen meine Vorfahren einfach ans Land.

 

Wenn die Leute von Neufundland in See stachen, nahmen sie immer ein paar Hunde mit – natürlich die von meiner Rasse. Und was hatten die für Namen! Welle und Brandung! Habt ihr wenigstens eine Ahnung davon, was das heißt? Und jetzt haben wir einen schnuppernden Trischka. Das geht einem zu Herzen, ach, wie das weh tut. Obwohl ich mich jetzt schon daran gewöhnt habe. Hol euch der Teufel, nennt mich wie ihr wollt.

 

Einst hatte irgendein bekannter alter Mann Ivan Savelevitsch irrtümlicherweise nicht mit dem richtigen Vatersnamen angeredet – Savitsch oder Stepanovitsch. Ich hätte ja den Alten gerne berichtigt, allerdings… naja, ihr versteht schon selber.  Und da fällt mir auf, dass Ivan Savelevitsch so tut, als bemerke er nichts. Und der Bekannte  wiederholt andauernd seinen Fehler. Schließlich bekommt er es mit. Da jammert er los: „Ach, Ivan Savelevitsch, verzeih mir bitte, mein Lieber“ dabei er klopft sich an den Kopf „ mein Gedächtnis taugt überhaupt nichts mehr.“

 

„Macht nichts, macht nichts, Timofej Ivanytsch“ sagt mein Betreuter „das spielt doch keine Rolle. Du kannst mich meinetwegen auch „Topf“ nennen, wenn du mich nur nicht auf den Herd stellst.“ Ich habe mich an meinen alten Freund erinnert und nehme Saschka schon nichts mehr übel. Dann eben Trischka. Meinetwegen könnt ihr mich auch „Topf“ nennen…

 

Falls euch das interessiert, erkläre ich euch jetzt kurz, wie die Bezeichnung unserer Rasse zustande kam. Ivan Savelevitsch hat mir erzählt, dass heutzutage drei Versionen existieren. Die erste: Die Bezeichnung Labrador kommt von der Labradorinsel, die sich unweit von unserer ursprünglichen Heimat befindet. Zweitens (die gefällt mir am meisten): von dem portugiesischen Wort „Labrador“, was „Arbeiter“ bedeutet. Die dritte Version ist ziemlich sinnlos, aber da ich mich beschlossen habe, alles zu erzählen, gebe ich sie wieder: Es gibt so ein blauschillerndes schwarzes Mineral, das auch „Labrador“ heißt. Warum gefällt mir diese Version nicht? Weil nur meine Urahnen schwarz waren. Aber jetzt sind meine Artgenossen gelblich wie ich, und es gibt sogar auch schokoladenfarbige Labradore. Nein, mit Mineralien und Inseln hat das nicht zu tun.

Die Bezeichnung unserer Rasse kommt von dem portugiesischen Wort. Ein Werktätiger ist auch in Afrika ein Werktätiger, wie mein Sascha sagt.

 

In Russland sind wir erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angelangt. Ivan Savelevitsch hat mal einen von seinen Gästen erzählt, dass der Präsident der USA Karter Breshnew einen Labrador geschenkt hat, und der kanadische Schriftsteller Farley McGill Mowat Kosygin. Das waren Staatsmänner der Sowjetunion. Die ersten Jahre lebten wir nur in Moskau und Riga. Aber jetzt sind meine Brüder schon in jeder beliebigen Region anzutreffen. Ich selbst bin in Russland geboren. Und obgleich in den Vereinigten Staaten und in England die Labradore eine der beliebtesten Rassen sind, will ich in meiner Heimat bleiben, hier arbeiten und hier den Menschen helfen. Habt ihr nun verstanden, dass wir euch schon von alters her euch helfen? Unsere Rasse kommt gut mit den Menschen aus. Ihr könnt es schon glauben, dass wir sehr intelligent und friedfertig sind. Wir zeichnen uns durch Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft aus.

Wenn ihr diese Geschichte jedoch zu Ende lest, werdet ihr verstehen, dass es manchmal notwendig ist, von diesen Eigenschaften abzuweichen. Aber man sagt ja, dass es keine Regel ohne Ausnahme gibt. Wenn es übrigens nicht solche Menschen gäbe, von denen ich euch etwas später erzähle, könnten wir auf diese Ausnahmen verzichten. Bei meiner Hundeehre! Ehrenwort eines Labradors!